Die bei Herstellung und Bedruck von Verpackungen und Verpackungsmaterialien eingesetzten Lösemittel, Additive und Farbpigmente können unter Umständen migrieren und das verpackte Gut kontaminieren. Um Verbraucher vor Schaden zu bewahren, sind Lebens- und Arzneimittelverpackungen auf potenzielle Risiken hin zu untersuchen. Eine Exkursion in das Labor der Ciba Expert Services in der Schweiz, das sich auf die Suche nach illegalen Auswanderen macht.
Wie sicher eine Pharmaverpackung ist und ob das verpackte Arzneimittel durch migrierte Chemikalien belastet wird, lässt sich experimentell untersuchen. „Die erforderlichen Tests werden in zwei Stufen durchgeführt“, erklärt Dr. Michael Jahn, Laborleiter in der Abteilung „Trace Analysis“ bei Ciba Expert Services (CH): Im Rahmen so genannter „Extractables“-Studien wird zunächst der denkbar schlimmste Fall („Worst Case“-Szenario) simuliert und die Verpackung zerstörungsfrei mit Lösemitteln unterschiedlicher Polarität und bei erhöhter Temperatur extrahiert. Die resultierenden Extrakte lassen sich schließlich umfangreich analytisch charakterisieren, um einen möglichst vollständigen Überblick über alle potentiellen Verbindungen zu erhalten, die das Arzneimittel kontaminieren könnten. Im Anschluss an diese toxikologische Auswertung werden als kritisch eingestufte Substanzen im echten Pharmazeutikum (meist aus Stabilitätsuntersuchung) mit validierten Methoden analysiert („Leachables“-Studie). Dr. Michael Jahn: „Für Extractables- und Leachables-Studien (E&L) existieren keine weltweit gültigen Grenzwerte für extrahierbare Substanzen.“ Jede E&L-Studie besitze vielmehr individuelle Züge. Ihr Ziel sei es, potenziell risikobehaftete Verbindungen zu identifizieren und genauestens zu untersuchen.
Die ganze analytische Klaviatur spielen
Die Durchführung E&L-Studien erfolgt zum Teil auf Grundlage gültiger Normen und Regelwerke, etwa der EU-Pharmacopeia Chapter 3, incl. Supplement 5.1, 5.2 & 5.3, USP e.g. <381> for elastomers, <661> for polymer characterisation oder der FDA Guidance for Industry: Container Closure Systems for Packing Human Drugs and Biologics. „Sie gleichen einem analytischen Potpourri unter Einsatz einer Vielzahl unterschiedlichster Verfahren und Methoden, die sich letztlich auch einsetzen lassen, um Verpackungssysteme, gleich welcher Art, zu optimieren“, beschreibt Dr. Armin Hauck, Leiter der GLP Prüfeinrichtung und der GMP Qualitätskontrolllabors bei Ciba Expert Services. Sinngemäß komme die analytische Ouvertüre der Thermodesorptions-Gaschromatographie mit massenselektiver Detektion (TDS-GC/MS) zu. Sie eigne sich wie kaum ein anderes Verfahren zur effizienten und lösemittelfreien Extraktion leicht- und mittelflüchtiger Verbindungen aus Verpackungsmaterialien. Potenzielle Analyten seien Oligomere aus Polyolefinen, Antioxidantien und deren Abbauprodukte, Plastikadditive, Lösemittel aus Druckfarben, Weichmacher, Monomere aus Bindersystemen, Verunreinigungen aus Pigmenten, Photoinitiatoren, unzählige Verbindungen und Verbindungsklassen aus recycliertem Karton wie Diisopropylnaphthalin-Isomere, Phthalate oder Kohlenwasserstoffe. Dr. Armin Hauck: „Dem Screening mit der TDS-GC/MS schließen sich bei Bedarf weitere Analysen an, etwa GC/MS, Headspace-GC/MS, Elementaranalyse und andere.“
Migration aus laminierten Arzneimittelverpackungen
Als Beispiel für die Wirksamkeit einer „Extractable“ Studie verweist Dr. Michael Jahn auf die Untersuchung einer laminierten Mehrkomponentenverpackung, bestehend aus mehreren Einzelkomponenten: flexibler Beutel, Dichtungssystem, Verschluss, Katheter-System. Beim verpackten Gut handelte es sich um eine flüssige, lipophile Pharmaformulierung. „Unsere Strategie lag darin“, erinnert sich Dr. Jahn, „mittels TDS-GC/MS zunächst die Einzelkomponenten zu untersuchen, anschließend das Gesamtsystems mit einem unpolaren Lösemittel zu füllen, bei erhöhter Temperatur („Worst Case“-Szenario) zu lagern und den resultierenden Extrakt zu analysieren.“ Dr. Michael Jahn konnte darin mehrere relevante Komponenten identifizieren und quantifizieren. Mit Ausnahme von einer Komponente, die in einer Konzentration >100 ppm vorlag.
Der Vergleich des Extrakt-Chromatogramms mit dem der Einzelkomponenten brachte schließlich Licht ins Dunkel. Dr. Michael Jahn: „Das Massenspektrum der unbekannten Komponente deutete auf die Verbindungsklasse ‚Phthalate‘ hin, da ein intensives Fragment bei m/z = 149 zu beobachten war. Es ließ sich allerdings kein kommerzielles Phthalat finden, das chromatographisch und massenspektrometrisch mit der unbekannten Verbindung übereinstimmte.“ Das Molekulargewicht der unbekannten Verbindung wurde daraufhin ermittelt und die Summenformel bestimmt. Auf gleiche Weise ließ sich das Fragment (m/z = 149) eindeutig der Summenformel C8H5O3+ zuordnen, also einem typischen Phthalat-Fragment. Die TDS-GC/MS-Analyse der einzelnen Polymerteile und Klebstoffe zeigte schließlich, dass die Verbindung aus einer Klebstoffkomponente stammte. Dr. Jahn: „Laut Hersteller des Klebers handelte es sich um ein Polyesterdiol, aufgebaut aus Phthalsäure- und Dioleinheiten, was Rückschlüsse auf die postulierte Struktur lieferte (niedermolekulares Abbauprodukt des Polyesterdiols).“
Die Verbindung wurde bei Ciba Expert Services synthetisiert, gereinigt, strukturell charakterisiert (1H- und 13C-NMR), qualifiziert und als Referenz mittels GC/MS analysiert. Resultat: Gleiche GC-Retentionszeit, gleiches Massenspektrum wie die „unbekannte“ Verbindung.
Eine toxikologische Evaluierung der Verbindung lieferte zudem eine Spezifikation der zumutbaren Tagesdosis. Mithilfe der synthetisierten Referenz sowie durch Einsatz spezifischer und sensitiver Analytik (LC/MS) konnte die Verbindung in der pharmazeutischen Formulierung, die im Verpackungssystem gelagert wurde, detektiert werden und zwar unterhalb der Spezifikation.
Fazit der E&L-Studie
Beim Testen von Lebensmittel- und Pharmaverpackungen müssen unterschiedlichste analytische Methoden angewendet werden, um auf Migrationen zurückzuführende Kontaminationen Gesundheitsrisiken für den Verbraucher zu minimieren. „Einen perfekten methodischen Einstieg in eine Studie zur Verpackungsanalyse liefert die TDS-GC/MS“, schlussfolgert Dr. Michael Jahn. Grund: Eine Chemikalie, die extrahierbar und migrationsfähig ist, lasse sich meist auch thermodesorbieren. Besondere Kennzeichen solcher Verbindungen: niedriges Molekulargewicht, niedrige Polarität, und hoher Diffusionskoeffizient. Das TDS-Screening gibt einen erstklassigen Überblick über eine potenzielle Kontamination, wie im vorliegenden Fallbeispiel gesehen. Dr. Michael Jahn: „Durch Anwendung von TDS-GC/MS der Einzelkomponenten einer Pharmaverpackung konnten wir eine hochkonzentrierte ‚Extractable‘-Verbindung im Extrakt der Gesamtverpackung schnell und einfach zuordnen. Analytisches und chemisches Expertenwissen dienten der strukturellen Aufklärung der Verbindung.“