Im Zeichen des Plastikeimers -- K Messe
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Im Zeichen des Plastikeimers

Quelle: "Eimertrinken" an der Playa de Palma auf Mallorca. GDeußing


Mallorca hat viel zu bieten an Land, Leuten und Kultur. Eigenartigerweise aber befindet sich vor allem jenes Bild der größten Baleareninsel im kollektiven Urlaubsbewusstsein: Touristen, die an der Playa de Palma durch meterlange Trinkhalme Hochprozentiges aus Plastikeimern schlürfen. Nach städtischem Beschluss soll das nun ein Ende finden. Wie Plakate rund um den "Ballermann" mahnen, sind für Trinkgelage präparierte und mit Strohhalmen ausstaffierte Plastikeimer am Strand verboten. Wer zuwiderhandelt, riskiert eine Geldstrafe. Ob sich die Freunde des eigentümlichen Trinkrituals beeindrucken lassen?

Aus der Werbung: „Aus allen Ländern Europas erreichen Sie die Balearen innerhalb weniger Stunden. Sie steigen in den Flieger und streifen den Alltag ab wie einen Schuh vor der Haustür. Und so schnell, wie sie Ihr Domizil auf der Insel erreicht haben, schlüpfen Sie, wenn es sein muss, auch wieder zurück in ihren Alltag – nur, um ihn am nächsten Wochenende in ihrem Inselparadies auf Mallorca wieder in Vergessenheit geraten zu lassen.“

Mallorca hat vieles zu bieten, was das Leben lebenswert macht: traumhafte Strände entlang eines türkisfarbenen Mittelmeeres; liebliche und urige Landschaften, eingetaucht in das warme Licht der mediterranen Sonne; eine Bergwelt, die zum Wandern und Naturgenießen einlädt; Kunst, Kultur und zauberhafte Menschen und nicht zuletzt Erholung pur – quasi das ganz Jahr hindurch. Und weil Mallorca, obschon die größte Insel der Balearen, nicht wirklich groß ist, lassen sich die zahlreichen interessanten Ausflugsziele ohne Müh mit dem Auto in nur wenigen Stunden erreichen.

Allerdings: Eine große Zahl der Mallorca-Touristen macht sich nur selten die Mühe, Land und Leute kennenzulernen. Ihr Ziel liegt nur wenige Autominuten vom Flughafen der Hauptstadt Palma entfernt, unmittelbar an der Playa de Palma im Stadtteil S’Arenal. Für die einen ist es die Partymeile schlechthin, für andere kurz nur der „Ballermann“, eine Verulkung des Namens der Promenade „Balaneario“, zu Deutsch Heilbad. Damit aber hat der Ballermann heute rein gar nichts mehr gemein.

Ein Tag im Juli 2012. Ferienzeit. Hochsaison. An der Playa de Palma flattert die grüne Flagge straff im Wind über Sonnenschirmen und Luftmatratzen und signalisiert den Strandgästen uneingeschränkte Badefreuden. Das Meer leckt kraft- und geräuschvoll am Strand, und wieder nimmt ein Flugzeug mit hunderten von Touristen Anflug auf die Insel; rund 145.000 Fluggäste, meldet das "Inselradio", fertigt Palmas Airport täglich ab. Der Himmel ist tiefblau und wolkenfrei.

Nur in der Ferne zur Linken, nahe des Stadtteils S‘Arenal, steigt auf breiter Front eine dunkle Rauchfahne himmelwärts, Brandstiftung wird vermutet. Die Polizei hat alle Hände voll zu tun, den Straßenverkehr am Feuer vorbei zu leiten. Ein Löschflugzeug nimmt vom Lande aus Kurs auf das Wasser vor der Küste. Aus der Luft soll der Feuerschaden an der unter Wasser mangelnden Vegetation minimiert, ein mögliches Übergreifen der Flammen auf Urbanes verhindert werden. Schon eine gefühlte Ewigkeiten lang hat die Insel keinen Regen mehr gesehen. Die Brandgefahr ist groß. Viele Badegäste begrüßen die Gischt aufsprühenden Anflüge der fliegenden Feuerwehr als willkommene Abwechslung im Strandalltag.

 
 

Man nehme einen Plastikeimer und Hochprozentiges

Von dem Spektakel völlig unbeeindruckt zeigt sich eine Gruppe 18- bis 20-jähriger, die sich im heißen Sand um einen Plastikeimer scharen, wie Druiden um einen Topf mit Zaubertrank. Aus dem Eimer stakt, Blumen in einer Vase gleich, ein Strauß meterlanger bunter Trinkhalme. Über den Inhalt des Eimers lässt sich, von außen betrachtet, meist nur spekulieren. Eine Ahnung erhält jedoch, wer offenen Auges über die Promenade Balaneario entlang der Playa de Palma flaniert.

Ein Laden auf der dem Strand gegenüberliegenden Straßenseite bietet Plastikeimer und Trinkhalme feil, einschließlich passender Rezepturen für die Befüllung: allesamt Mixgetränke aus Sangría, Rum, Vodka oder anderen hochprozentigen Getränken, Saft und/oder Früchten. Keine der deklarierten Mischungen scheint als Durstlöscher zu taugen. Was die durchweg jungen Badehose- und Bikini-Träger(innen), die am Strand durch rote, gelbe, blaue und grüne Plastikhalme Eimerinhalt schlürfen, offenkundig auch nicht suchen. Was entgegen der Schwerkraft aus dem Eimer durch Trinkhalme in Mund, Magen und Blut transportiert wird, hat eher den Charakter eines Gute-Laune-Cocktails, der auf die Party vorbereitet, die von früh bis spät am Ballermann gefeiert wird.

Entlang der Promenade patroulliert die Polizei auf Motorrollern und im Pkw; an anderer Stelle sind berittene Beamte unterwegs, wieder andere auf Schusters Rappen. Ihr Blick geht in Richtung dubioser Schmuck- und Uhrenverkäufer, die sich jedoch, von einem strategisch günstig positionierten Informanten durch Pfeifen oder andere Laute gewarnt, bereits in Seitenstraßen verflüchtigt und aus dem Staub gemacht haben.

An Flucht oder Versteckspielen denkt die an Trinkhalmen nuckelnde Plastikeimer-Gemeinde offenkundig nicht. Die jungen Leute sehen die Polizei und die Polizei sie die jungen Leute: im Sand der Playa sitzend oder stehend, mit einem Trinkhalm im Mund, vor ihnen ein Plastikeimer. Vermutlich gefüllt mit Alkohol. Der Blick der Beamten streift die Runde und wendet sich dann wieder anderen Szenerien zu. Es ist 15 Uhr. Es ist heiß und der Tag noch jung. Was der Abend wohl bringen mag? Routine an der Playa de Palma...

Moment mal! Da haben wir sie wieder, die Tücken des Alltags! Spulen wir den Film noch einmal zurück. Was war noch auf den Plakaten abgebildet, die entlang der Promenade in großer Zahl gut sichtbar in Augenhöhe an Pfeilern befestigt sind? Das war ein gelber Plastikeimer, gefüllt mit einer roten Flüssigkeit mit abgewinkelten Trinkhalmen darin, darunter in fetten Lettern der spanische Spruch: „No en la playa“, darunter, in etwas kleinerer Schrift, „Nicht am Strand“, „Not on the beach“ und „Pas sur la plage“. Eine durchaus verständliche Botschaft, sollte man meinen: Eimertrinken am Strand verboten! Dennoch reagieren weder Strandbesucher noch die Polizei darauf.

Dabei hätten die Ordnungshüter eine Handhabe, gegen das Plastikeimer-Besäufnis vorzugehen. Im März 2011 nämlich trat in Palma eine städtische Verordnung in Kraft, gemäß der Besäufnisse in der Öffentlichkeit verboten sind. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafen geahndet. Der Grund für das offenkundige Desinteresse der Polizei, das, am Rande bemerkt, von vielen Eimertrinkenden auch als Freibrief fehlgedeutet wird, spiegelt die Geschichte hinter der Geschichte wider. Die Verordnung richtet sich nämlich vor allem gegen die „Botellones“ (span. Flaschen), zu denen sich vor allem spanische Jugendliche in Parks oder an anderen öffentlichen Orten zu kollektiven Besäufnissen treffen. Auf den Punkt gebracht, gilt die Verordnung auch an der Playa de Palma, wenngleich die Mehrheit der Strandbesucher nicht aus Spanien stammt und statt Flaschen, Eimer geleert werden.

Die Polizei jedoch schreitet nicht ein und zwar solange nicht, wie die öffentliche Ordnung nicht gestört, niemand belästigt wird und die Grenzen des Anstands gewahrt bleiben.

Letzten Endes aber bleibt dennoch fraglich, wie jemand Glauben kann, ein Plakat aufzuhängen genüge, um Trinkgelage in der Öffentlichkeit zu unterbinden. Überhaupt, was bringt ein Verbot? Zwei junge Männer zeigten sich kreativ: Statt sich mit ihrem Eimer in den Sand zu setzen, haben sich einen Platz auf der den Strand begrenzenden Mauer gesucht; den Plastikeimer, den sie dank der meterlangen flexiblen Plastiktrinkhalme ohne Müh und gymnastische Verrenkungen erreichen können, steht - regelkonform - nicht im Sand, sondern auf dem Gehsteig davor.

Köpfchen muss man haben...