Systemintegration: Funktionalität durch Material, Prozess und Design

Biokunststoffe erzielen in der Regel eine positive Reaktion bei Konsumenten, die sich nachhaltig verhalten möchten. Befasst man sich mit der Thematik näher, wird schnell deutlich, dass der Begriff „Biokunststoff“ ein Überbegriff ist, welcher die Eigenschaften „biologische Abbaubarkeit“ und „biologischer Ursprung“ vereint, und dass beide Eigenschaften nicht immer zugleich in einem Biokunststoff vorliegen. Es ist ungeachtet der attraktiven Vorsilbe „bio“ wichtig zu verstehen, welchen Nutzen sie für den nachfragenden Verbraucher und damit die Kunststoffbranche hat.

Bei den sogenannten biobasierten Kunststoffen steht die Vorsilbe „bio“ für aus der Natur gewonnene, nachwachsende Rohstoffe. Sie werden z.B. aus verschiedenen Kohlenhydraten gewonnen: Zucker, Stärke, Proteine, Cellulose, Lignin, Bio-Fette und Öle. Beispiele für biobasierte Kunststoffe sind PLA, PHA, Cellulosederivate und Stärkederivate, aber auch z.B. Bio-Polyethylen, welches in Brasilien aus Bioethanol und dieses wiederum aus Zuckerrohr gewonnen wird. Was gelegentlich zur Verwirrung führt, ist, dass diese Biokunststoffe nicht zwangsläufig biologisch abbaubar sein müssen. So ist das Bio-Polyethylen zwar vollständig aus nachwachsenden Rohstoffen, bei den gleichen Eigenschaften wie ein herkömmliches Polyethylen, ist aber in keiner Weise biologisch abbaubar. Der gesellschaftliche Nutzen bei vermehrtem Einsatz „solcher“ nachwachsenden Rohstoffe ist demzufolge vor allem, weniger fossile Kohlenwasserstoffe zu verwenden und weniger „gestriges“ CO2 in die Umwelt einzubringen

Biologisch abbaubare Kunststoffe bestehen nahezu ausschließlich aus bioabbaubaren Polymeren und Additiven. Sie sind für spezielle Bakterien und Pilze verstoffwechselbar, nachdem die Makromoleküle durch andere Abbaumechanismen zunächst eine besonders kleine Fragmentierung erreicht haben. „Verstoffwechseln“ heißt dabei, vollständig zu Biomasse, CO2 oder Methan, Wasser und Mineralien umgewandelt zu werden. Somit wird deutlich, dass der Begriff „bio“ in „biologisch abbaubar“ dafür steht, dass der Kunststoff wieder zu Natur umgewandelt wird. Die biologisch abbaubaren Kunststoffe können in Anwendungen, die meist in der Natur zurückbleiben, eine Lösung bieten: Reibpartikel in Peelings, die ins Abwasser gelangen, Rasentrimmer-Partikel, die im Rasen verbleiben, Jungbaumschutz, der im Wald verbleibt. Auch in Ländern mit einem schlecht ausgebauten Abfallmanagement, können sie helfen, die Auswirkungen der in die Umwelt gelangten Kunststoffabfälle zu reduzieren. Beispiele für biologisch abbaubare Polymere sind ebenfalls PLA, PHA, Cellulosederivate, Stärke, aber auch erdöl-basiertes PBAT und PBS. Befürchtungen, der biologische Abbau könnte auch während des normalen Gebrauchs stattfinden, sind unbegründet

Die Kunststoffbranche wird sich auf der K2019 sicherlich dem wachsenden Marktdruck und der sinkenden Akzeptanz von Kunststoffverpackungen stellen müssen, die auch bereits auf andere Anwendungen aus Kunststoff übergreifen. Dass Biokunststoffe zu einer Antwort beitragen können, wird auf der K Messe auf den Ständen der Biokunststoffproduzenten sowie der Forschungsinstitute im Science-Campus eindrucksvoll zu erleben sein.

Univ.-Prof. Dr.-Ing. C. Bonten ist Institutsleiter am Institut für Kunststofftechnik (IKT) der Universität Stuttgart

„Die Kunststoffbranche wird sich auf der K 2019 sicherlich dem wachsenden Marktdruck und der sinkenden Akzeptanz von Kunststoffverpackungen stellen müssen, die auch bereits auf andere Anwendungen aus Kunststoff übergreifen. Dass Biokunststoffe zu einer Antwort beitragen können, wird auf der K sicherlich auf den Ständen der Biokunststoffproduzenten sowie der Forschungsinstitute im Science-Campus eindrucksvoll zu erleben sein.“

Kunststoffe ermöglichen die Integration verschiedener Funktionen in einem Bauteil in einzigartiger Weise. So lassen sich mit teilkristallinen Thermoplasten über die Gestalt und die Verarbeitung lokal unterschiedliche Morphologien und damit unterschiedliche Eigenschaften in einem einzigen Herstellschritt erzeugen. Eine simple Shampooflasche integriert beispielsweise im Verschluss sowohl die Dicht- als auch die Scharnierfunktion nutzerfreundlich, zuverlässig in der Funktion, als Einstofflösung hervorragend rezyklierbar und zudem in der Herstellung extrem kostengünstig.

Für die Produktion hochbelasteter Bauteile, d.h. für Strukturanwendungen, reicht das mechanische Leistungspotenzial von Kunststoffen jedoch häufig nicht mehr aus. Abhilfe schafft hier die Kombination des Kunststoffs mit einer zweiten hochbelastbaren Komponente. Paradebeispiel derartiger Verbundwerkstoffe sind faserverstärkte Kunststoffe. Hier übernimmt die kohärente Kunststoffmatrix die Fixierung und den Schutz der lasttragenden dispers in die Matrix eingebetteten Fasern.

So lässt sich eine hohe Gestaltungsfreiheit mit geringem Gewicht und höchsten mechanischen Eigenschaften kombinieren. Sportgeräte, wie Tennis- und Golfschläger, Fahrradrahmen, aber auch Flugzeugstrukturen und leichtgewichtige Automobilkarosserien sind dafür nur einige Beispiele.

Neben der Faserverstärkung gewinnt die Einarbeitung verschiedener keramischer Stoffe mit unterschiedlicher Geometrie auf extrem unterschiedlichen Längenskalen in die Kunststoffmatrix immer mehr an Bedeutung. Während noch vor einigen Jahren enorme Summen in die Erforschung und Entwicklung von Nanokompositen gesteckt wurde, sieht man das Potenzial aktuell in der
Kombination von Verstärkungsstoffen auf unterschiedlicher Längenskala, d.h. bei den sogenannten hybriden Werkstoffen. Mit diesen Materialien lassen sich mit intelligenten Verarbeitungsprozessen Bauteile mit filigraner Gestalt und lokal unterschiedlichem Füllgrad und Ausrichtung, d.h. letztendlich lokal gezielt generierten Eigenschaften, herstellen.

Die Fertigungskosten hängen dabei extrem von der geometrischen Anordnung der dispers in der Kunststoffmatrix angeordneten Komponenten ab. Mit sphärischen Stoffen gefüllte und diskontinuierlich faserverstärkte thermoplastische Kunststoffe lassen sich hervorragend mit den bekannten Kunststoffverarbeitungsverfahren in Bauteilform überführen. Die Verarbeitung kontinuierlich langfaserverstärkter Materialien stellt dagegen kostenmäßig durchaus eine Herausforderung dar. Lösungen versprechen hier Kombinationen hocheffizenter Kunststoffverarbeitungsverfahren mit einer Schneckenplastifizierung im Kern. So entwickelt die Branche aktuell in Verbundprojekten zwischen Industrie, Universitäten und Forschungseinrichtungen, wesentlich unterstützt durch die Forschungsförderung des BMBF, intelligente Prozessketten mit dem Ziel einer signifikanten Zykluszeitverkürzung und damit Kostenreduktion. Hilfreich dabei ist auch die Entwicklung des Themas Industrie 4.0. Neuer Schwung entsteht zudem durch die dynamische Entwicklung beim 3D-Druck. Erste Anlagen erlauben die gezielte Ablage von Faser/Matrix-Strängen in Richtung der im Bauteil wirkenden Lasten. So lassen sich makroskopisch anisotrope Bauteile herstellen und damit das Potenzial der Verstärkungsstruktur auf höchstem Niveau ausnutzen. Bei heutigen technischen Lösungen ist die Zykluszeit dabei allerdings extrem von der Bereitstellung der Wärme abhängig. Im Fused Deposition Modeling, bei dem der Strang zunächst über Wärmeleitung aufgeschmolzen wird, ist beispielsweise der Durchsatz 100-fach geringer als in einer modernen industriellen Kunststoffverarbeitung. Auch hier kann eine Schneckenplastifizierung Abhilfe schaffen.

Während die Werkstoffentwicklung sich lange Jahre wesentlich auf das vom Anwender geforderte Eigenschaftsprofil konzentriert hat, rückt mehr und mehr auch der Fertigungsprozess gleichwertig in den Fokus der Entwicklung. Eigentlich ein Blickwinkel der die Erfolgsgeschichte des Kunststoffs in den letzten Jahrzehnen garantiert hat: Hervorragende kunststofftechnische Lösungen können nur im Zusammenwirken von Werkstoff, Prozess und Konstruktion entstehen. Die K2019 wird dies auch für hybride kunststoffbasierte Werkstoffe in Leichtbauanwendungen eindrucksvoll demonstrieren.

Professor Schlarb ist Inhaber des Lehrstuhls für Verbundwerkstoffe (CCe) an der Technischen Universität Kaiserslautern (TUK).

„Während die Werkstoffentwicklung sich lange Jahre wesentlich auf das vom Anwender geforderte Eigenschaftsprofil konzentriert hat, rückt mehr und mehr auch der Fertigungsprozess gleichwertig in den Fokus der Entwicklung. Eigentlich ein Blickwinkel der die Erfolgsgeschichte des Kunststoffs in den letzten Jahrzehnen garantiert hat: Hervorragende kunststofftechnische Lösungen können nur im Zusammenwirken von Werkstoff, Prozess und Konstruktion entstehen. Die K2019 wird dies auch für hybride kunststoffbasierte Werkstoffe in Leichtbauanwendungen eindrucksvoll demonstrieren“

Die Welt profitiert seit nahezu 100 Jahren von einer stetig wachsenden Kunststoffindustrie, welche eine breite Palette von Werkstoffen mit vielfältigem Eigenschaftenprofil zur Verfügung stellt. Mittlerweile existieren Hochleistungskunststoffe, die durch ihr geringes Gewicht, kombiniert mit enormer mechanischer Festigkeit helfen, Autos und Flugzeuge leichter zu machen. Dadurch tragen sie sehr deutlich zur Energieeinsparung bei. Daneben sind sie witterungsbeständig, aber oft auch stabil gegen Chemikalien und in einigen Fällen auch gegen UV-Bestrahlung, so dass sie so komplexe Einsatzgebiete wie die Medizintechnik, die Bauindustrie bis hin zu Anwendungen in der Raumfahrt überbrücken.

Mit einem globalen Produktionsvolumen von 348 Millionen Tonnen im Jahr 2018 zählen sie zu den erfolgreichsten Wirtschaftszweigen unserer Erde und tragen in erheblichem Maß zu den Leistungsbilanzen der Länder bei. Waren vor 15 Jahren Europa und Nordamerika die führenden Nationen bei Kunststoffproduktion und Verwendung, liegt nun das Schwergewicht der konventionellen Kunststoffe in Asien, insbesondere in China (Abb. 1).

Dabei entstehen alle technischen Kunststoffe aus Rohöl, immer noch dem fossilen Rohstoff der globalen Industrie. Durch ihre chemische Stabilität sind sie schwer biologisch abbaubar, so dass sich große Teile der immensen Produktionsvolumina in der Umwelt anhäufen, oft durch noch nicht voll entwickelte Recycling-Systeme. Wenn die unbestreitbaren Erfolge moderner Kunststoffe weiter unsere Welt bereichern und unsere Lebensqualität verbessern sollen, muss ein Schwerpunkt des frühen 21. Jahrhunderts auf der Entwicklung nachhaltiger Polymermaterialien (neben effizienten Recycling-Verfahren) liegen.

Für eine Auswahl von Kunststoffen könnte ein Weg dazu die Umstellung von Öl-basiertem Kohlenstoff hin zu Kohlendioxyd (CO2) als Kohlenstoffquelle sein. Dabei sind sowohl die Hydrierung von CO2 zu Methanol, die Umwandlung von Methanol (CH3OH, MTP-Prozess) zu Propylen, die Gewinnung von Acrylnitril und PAN, wie auch die Oxidation von Propylen zu Acrylsäure seit langer Zeit Standardverfahren der chemischen Industrie (Abb. 2).
Eine besondere Rolle kommt sicher den synthetischen, biologisch abbaubaren Kunststoffen zu (vgl. „Synthetic Biodegradable Polymers“, Rieger, Künkel, Coates, Reichardt, Dinjus, Zevaco (Eds.), Springer, Advances in Polymer Science 2012). Dabei nehmen Polypropylencarbonate (PPC) und Polyhydroxybutyrate (PHB) eine zentrale Rolle ein. Beide sind nicht nur vollständig aus CO2 herstellbar, insbesondere synthetisches PHB ist ein „hidden champion“: es kommt in seinen Eigenschaften typischen Verpackungsmaterialien wie Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) nahe, ist jedoch biologisch komplett und schnell abbaubar.

Der Autor: Prof. Bernhard Rieger ist seit 2006 Leiter des WACKER-Lehrstuhls und des Instituts für Siliciumchemie an der Technischen Universität München, an der er gegenwärtig zudem den akademischen Senat leitet. Nach dem Studium der Chemie an der LMU München, einem Postdoc-Projekt an der University of Massachusetts arbeitete er im Kunststofflabor der BASF AG. Nach seiner Habilitation an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen leitete er ab 1997 den Lehrstuhl für „Materialien und Katalyse“ an der Universität Ulm. Er ist gewähltes Mitglied der finnischen Akademie der Wissenschaften (2007), der European Academy of Sciences (2011) sowie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften „acatech“ (2013).

2006 wurde er mit dem Philipp-Morris Forschungspreis und 2013 mit dem Wöhler-Preis für Nachhaltige Chemie ausgezeichnet. Er hält eine Ehrendoktorwürde der Universität Helsinki, ist Autor von über 350 Originalpublikationen und mehr als 140 Patenten. Seit 2013 ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Rates der K-Messe.

Unter dem Leitbegriff „Systemintegration: Funktionalität durch Material, Prozess und Design“ lassen sich viele Spezialthemen aus dem Bereich der Polymerwerkstoffe bündeln. Moderne Technologien im Bereich der Mobilität, Luftfahrt und Medizintechnik stellen neue Anforderungen an einzusetzende Materialien. Dies betrifft insbesondere auch Kunststoffe, Elastomere und deren Additive. Diese Materialien können einzigartig anforderungsgerecht auf spezifische Eigenschaftsbilder optimiert werden und erlauben in Verbindung mit modernen Fertigungsprozessen wie z. B. auch der additiven Fertigung (3D-Druck) eine Vielfalt von Funktionalitäten und nahezu beliebige Konstruktionen und Designs von Bauteilen. Funktionalität auf höchstem Niveau zeigt sich z. B. bei elektrisch hochleitfähigen Elastomeren mit Einsatz als flexible Elektroden als Implantate im Medizinbereich, bei magnetorheologischen Elastomeren mit schaltbaren Steifigkeiten für „Softrobotic“ oder für den Automotivbereich (Fahrwerksdämpfung, optimierte Antriebsaggregataufhängungen) oder auch bei speziellen Sensoren durch die Kombination von Mikroelektronik und polymeren Matrices.

Neue Entwicklungen wie die E-Mobilität erfordern andere Funktionalitäten und Materialeigenschaften als sie bisher in der Fahrzeugindustrie von Interesse sind. Polymere Hochleistungsmaterialien für Batterien und Brennstoffzellen sind hier zunehmend gefragt. Der Einsatz von hocheffizienten verstärkenden Füllstoffen, insbesondere auch mit geringer Dichte, eröffnet für Elastomerwerkstoffe weitreichende Entwicklungsmöglichkeiten in Richtung Leichtbau, Lebensdauer und Belastbarkeit. In einem Mittelklasse PKW sind z. B. neben vielen Kunststoffprodukten ca. 65 – 70 kg Elastomere (inkl. Reifen) verbaut. Neben den Reifen betrifft dieses zahlreiche hochentwickelte technische Elastomererzeugnisse, die ca. 15 kg je Auto ausmachen. Im Zuge der E-Mobilität werden viele elastomere Bauteile im Bereich des Antriebs- und Kühlsystems wegfallen oder massiven Änderungen unterliegen. Insbesondere der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen in Kunststoffen und Elastomeren, auch als Additive, ein günstiger CO2 -Footprint der Elastomer- und Kunststoffprodukte sind ebenso wichtig wie Materialien mit hoher Lebensdauer, auch unter extremen Beanspruchungen, Leichtbau durch geschickte Compoundierung sowie intelligente Materialien mit integrierter Sensorfunktion und schaltbaren Eigenschaften.

All dies erfordert in den Firmen ein Umdenken auch zur wirtschaftlichen Existenzsicherung, inklusive der damit verbundenen Strukturveränderungen der Firmen. Der Verbraucher die Rohstoffhersteller sowie die verarbeitende Industrie und die Zulieferindustrie sind hier in gleichem Maße betroffen. Auf der K 2019 werden Zukunftsthemen zur Funktionalität durch Material, Prozess und Design daher eine überragende Rolle spielen.

Der Autor: Prof. Dr. Ulrich Giese ist Geschäftsführender Vorstand (Institutsleiter) am Deutschen Institut für Kautschuktechnologie in Hannover.